Europa ist geschrumpft, gewisse Ansprüche aber sind geblieben. Ansprüche, die als Nachbilder der imperialen Phantasien und zivilisatorischen Missionen von einst gelten können. Diese Ansprüche erscheinen heute in Gestalt des Ressentiment – des Gefühls tiefster Kränkung angesichts des Verlusts all der Privilegien, die sich Europa in jahrhundertealten Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen gesichert hatte.
Die Ansprüche von ehedem überdauern auch an Orten, die dem Überdauern gewidmet sind: den Museen. Offenkundig ist das Dilemma angesichts der Debatte um die Rückgabe gestohlener Kulturgüter. Damit ist es aber nicht getan, weil die gesamte museale Matrix durchzogen ist von Imperialismus, Kolonialismus und selektivem Humanismus. Das betrifft die Einteilungen, die Museen vornehmen (was ist Kunst, was Nicht-Kunst, was Europa, was Übersee), die Narrative, die bedient werden, aber auch die Form, in der Objekte welcher Art auch immer präsentiert oder unterschlagen werden. mehr…
Nun sind Museen nicht übler als verwandte Institutionen wie etwa die Universitäten. Sie sind ein Gemengelage aus unterschiedlichen Macht- und Repräsentationsinteressen. Dieses Gemengelage hat sich langsam herausgebildet dabei allerlei aufgenommen und verdaut: museale Frühformen, wie die Wunderkammer, aber auch Methoden, die von der Aufklärung inspiriert sind. Museen haben von miltärischen Kampagnen wie den Opiumkriegen profitiert, haben Prinzipien der eurozentrischen Wissenschaft verinnerlicht und sie haben die Ästhetik der Weltausstellungen mit ihrer Lust am Neuen, Fremden und Exotischen ausgeschlachtet. Einige haben von der Moderne gelernt, vom „White Cube“ und der autonomen Existenz so mancher Dinge.
„Mobile Welten“ ist ein Versuch den systematischen Aussparungen in diesem Gemengelage Rechnung zu tragen. Das bedeutet da zu beginnen, wo auch das Museum beginnt: bei der Sammlung. Es bedeutet aber anders zu beginnen – ohne die Einteilungen, die sich der Arroganz von ehedem verdanken. Der Nationalstaat europäischer Prägung lässt sich ebensowenig universalisieren wie die etablierten Einteilungen nach Räumen und Zeiten (à la Moderne, Antike, Asien, Afrika). Die Welt ist verflochten! Sie ist komplex und ihr gerecht zu werden macht Mühe und braucht vorallem viele Stimmen. Jedenfalls mehr als die Stimmen des Museumspersonals (bei allem Respekt).
Das „Museum“ als gesellschaftspolitische Institution ist zu wichtig, um nicht für es zu kämpfen. Heute geht es darum der postmigrantischen Gesellschaft Räume zu eröffnen, in denen die Gesellschaft „von morgen“ in ihrer zumeist unerforschten Geschichte „von gestern“ stöbern kann. Diese Geschichte von gestern ist selten als gemeinsame Geschichte erzählt und begriffen worden. Doch Europa wäre nicht Europa ohne den Plantagenkolonialismus und den „Scramble for Africa“. Und die Moderne wäre nicht die Moderne ohne Kautschuk, Rohöl, Opium und Sklaverei. Das Stöbern in der gemeinsamen Geschichte, die Betrachtung von Museumsobjekten, die nicht nur die eine Bedeutung haben, sondern viele Facetten aufweisen, – dieses Stöbern ist mit Konflikten verbunden.
Durchaus konfliktreich war auch der Prozess, an dessen Ende die Ausstellung „Mobile Welten“ (2018) im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) stand. Globale Verflechtungen waren das Thema, bestimmten aber auch die Methode, die in hohem Maße (und für ein Museum ungewöhnlich) durch Improvisation gekennzeichnet war. Den Objekten als Knotenpunkten vielschichtiger Narrative standen höchst unterschiedliche kuratorische Akteur:innen gegenüber: die Kustod:innen des MKG ebenso wie Künstler:innen, kurdische Aktivist:innen, die Barber Shops im Hamburger Bahnhofsviertel, eine Schule und noch weitere mehr. Es war immer klar, dass der gewünschte Perspektivwechsel auf die museale Matrix ein offenes Team braucht, eines das diesseits und jenseits der Institution denkt and agiert.
Die Website hat nicht den Anspruch die Ausstellung „Mobile Welten“ eins zu eins zu reproduzieren. Sie ist weder Katalog noch Dokumentation, auch wenn sie mit Elementen der Ausstellung arbeitet. Sie ist mehr vom Wunsch getragen, die kuratorische Methode weiterzuführen – hinein in den Raum digitaler Möglichkeiten. Mehr als eine Arbeitsskizze, eine Erkundung, ein paar erste Schritte ist dabei (noch) nicht herausgekommen. Doch die Neugier ist groß und der Wille vorhanden, die technischen, epistemologischen und ästhetischen Möglichkeiten eines digitalen Museums zu erkunden.
Vom Geist der Kollaborationen, die „Mobile Welten“ geprägt haben, ist diese Website vorerst weit entfernt. Die Texte stammen aus der Feder des kuratorischen Teams, wurden aber redigiert und angepasst. Sie sind lückenhaft, subjektiv und „situiert“. Ähnlich lückenhaft ist das Text-Bild-Verhältnis. Es macht keinen Versuch, den analogen Raum der Ausstellung zu imitieren, sondern folgt einer eigenen assoziativen Form. So evident die Grenzen, aber auch Möglichkeiten des analogen Raumes sind, so wenig erprobt sind die Formen digitalen Kuratierens. Unser Wunsch ist den digitalen Raum für weitere Kollaborationen zu nutzen.
Wie die Objektauswahl sind auch Texte und Fotos Ergebnis der Auseinandersetzung mit einer bestimmten Sammlung, der des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Weitere Schlüsselobjekte stammen aus der Sammlung des Johann Jacobs Museums in Zürich, von verschiedenen Leihgeber:innen und Künstler:innen.
In den Untiefen westlicher Museumssammlungen finden sich eine ganze Reihe von Objekten, die ganz unverholen rassistische Vorstellungen transportieren. Wir haben uns entschieden, nur wenige dieser Objekte aufzunehmen und sie unscharf zu reproduzieren. Mit einer Mausbewegung werden sie als historische Dokumente sichtbar.
Für mehr Informationen siehe: Über
Ein bisschen Ordnung kann nicht schaden. Doch welche Ordnung entspricht der Sammlung? Räume und Zeiten? „Kunst“, „Afrika”, “Handschriften“, „Islam”, “Moderne”? Museen operieren mit solchen Begriffen – das sind die Besucher:innen gewöhnt.
Unsere Ordnung hingegen ist gewöhnungsbedürftig. Sie will den alten Kategorien an den Kragen. „Fruchtbarer Halbmond“ – nie gehört. Und dann „Muster“, „Haare“ oder „Kautschuk“… Wer kann sich darunter etwas vorstellen? Nun, „Moderne“ oder „Kunst“ sind auch nicht viel anschaulicher. Immerhin haben unsere Begriffe den Vorzug, dass man der Ordnung ihr Moment der Willkür ansieht. Es könnte schließlich alles auch ganz anders sein.
Für wen ist das Museum da? Für das Publikum, klar, aber wer ist das? Mit Befragungen und Vermittlungsprogrammen versuchen Museen dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Und dann? Bleibt vieles beim Alten. Es gibt einen besseren Weg, um das Publikum kennenzulernen: die aktive Teilhabe, und das nicht nur innerhalb des Rahmens, den das Museum vorgibt. Zunächst wäre zu klären, unter welchen Voraussetzungen man überhaupt zusammenkommt.
Wagt das Museum die kuratorische Verantwortung mit dem Publikum zu teilen? Wer lernt von und mit wem? Und wie geht man mit Konflikten um, die immer dann auftauchen, wenn es interessant wird (wenn es um mehr geht als nur “Mitmachen”). „Mobile Welten“ entstand im Austausch mit den Kustod:innen des MKG, mit Künstler:innen, kurdischen Aktivistinnen, einer Schule und vielen weiteren Akteur:innen.