Denise Bertschi

Denise Bertschi: Helvécia, Brazil, 2017
Lochstickerei und Ausschnitt aus 3-Screen HD-Video
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Helvécia, Brazil, 2017

Bertschi hat sich lange Monate in Bahia (im brasilianischen Nordosten) aufgehalten, um an einem Ort mit dem vielsagenden Namen »Helvécia« Hinweise auf die Schweizer Präsenz zu finden. Helvécia wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Teil einer großen Kolonie gegründet, die wiederum benannt war nach Leopoldine, der österreichischen Gattin des brasilianischen Königs.

In »Leopoldina« wurde in erster Linie Kaffee angebaut – von versklavten Westafrikanern, die unter deutscher und schweizerischer Herrschaft schufteten. Der Hamburger Konsul Peter (Pedro) Peycke gehörte zu den Gründern der Kolonie und koordinierte Anbau und Handel sowie die Kommunikation mit den Behörden. Noch heute leben seine Nachfahren unter dem Namen »Krull« in Helvécia.

Mit dem Import von versklavten Menschen nach Brasilien, den die Portugiesen im großen Stil betrieben, gelangten auch kulturelle Formen und religiöse Vorstellungen in die »Neue Welt«, die sich hier anreicherten und veränderten – mit indigenen und europäischen Traditionen. Den Kampftanz Capoeira beispielsweise, heute beliebt bei westlichen Mittelschichtskindern, entwickelten die Versklavten in Reaktion auf das herrschaftliche Verbot, sich in Kampftechniken zu üben. (Die Herrschaften lebten in ständiger Sorge vor Aufständen). Das Training war aber möglich, wenn es sich als kulturelle Form, als Tanz tarnte…

Mit den Schweizer_innen gelangten auch deren Handarbeitstraditionen nach Brasilien. St. Galler Lochstickereien waren im 19. Jahrhundert eines des Hauptexportprodukte der damals armen Schweiz. Diese kostbaren Textilien mit ihrem makellosen Weiß fanden Eingang in die Rituale der afro-brasilianischen Religionen. In ihrem Werk verbindet Bertschi die Technik der Lochstickerei mit den in der feuchtwarmen Luft zerfallenen Papieren der Kolonialbehörden von einst. Diese löchrigen Papiere dokumentieren den deutschen und schweizerischen Besitz an versklavten Menschen in Bahia.

Denise Bertschis Arbeit entstand für die von Marcelo Rezende und Eduardo Simantob kuratierten Ausstellung Kaffee aus Helvécia