Okimono in Gestalt einer Ägypterin
Netsukes gehören zum Feinsten der japanischen Schnitzkunst. Die kleinen „Knöpfe“ dienten zur Befestigung von Beuteln und Pfeifen am Gürtel des Kimono. In der Meiji-Zeit kam das traditionelle Gewand aus der Mode. Männer waren gehalten in der Öffentlichkeit Anzüge zu tragen.
Nachdem netsukes ihre Funktion weitgehend eingebüßt hatten, begannen die Schnitzkünstler nach anderen Absatzmärkten Ausschau zu halten. Dieses okimono aus Elfenbein erinnert an eine christliche Madonnenfigur. Doch Schleier und Perle machen deutlich, dass dies eine Fellachin, eine ägyptische Bäuerin ist. Die „Fellachin“ war ein orientalistisches Motiv der Zeit. Es zirkulierte beispielsweise auf Aufnahmen des Kairoer Fotostudios Lehnert&Landrock. Allerdings saßen in Kairo keine echten Bäuerinnen Modell, sondern Prostituierte oder Schauspielerinnen, die als Bäuerinnen verkleidet waren.
Fellachin mit Niqab
Der Orientalismus bediente sich gern der Fotografie, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. So erhielten seine Phantasiewelten zumindest den Anstrich von Objektivität. Als besonders stilprägend erwies sich das Fotostudio Lehnert&Landrock in Kairo. Um 1900 bereiste Rudolf Lehnert Nordafrika, um Landschaften und ikonische Orte (wie die Pyramiden von Gizeh) abzulichten. Daneben fotografierte er Menschen. Lehnerts Kamerablick verknüpft die ethnographische Beobachtung mit kolonialen Blickmustern und erotischen Mystifikationen. So auch hier. Wer da hinter dem Schleier steckt, ist unklar. Es waren häufig Schauspielerinnen oder Prostituierte, die bestimmte „Typen“ wie die «Fellachin» (ägyptische Bäuerin) mimten.
Statuette einer Ägypterin
Diese „Ägypterin“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Französin. Die Löckchen verraten sie, die unter dem Kopftuch hervorquellen. Das war damals Mode in Paris.
Statuette einer Ägypterin
Diese „Ägypterin“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Französin. Die Löckchen verraten sie, die unter dem Kopftuch hervorquellen. Das war damals Mode in Paris.
Hyakusenkai Graph (百選会 呉服催事カタログ資料 「百選会グラフ」大阪店発行)
Eines der ersten Kaufhäuser in Japan war „Takashimaya“ mit Niederlassungen in Kyoto, Osaka und Tokyo. Das Management unterhielt enge Kontakte zu Modescouts in den westlichen Metropolen. Die weibliche Klientel sollte mit den neuesten Trends versorgt werden. Dieses Kimono-Muster geht vermutlich zurück auf die europäische „Ägyptomanie“.
Sun Ra
Sun Ra (1914 – 93) war einer der bedeutendsten afro-amerikanischen Jazzmusiker. Zugleich war er ein wandelndes Gesamtkunstwerk, das sich identitären Zuschreibungen, angefangen bei seinem Namen, zu entziehen suchte. Die Vorstellung, dass seiner künstlerischen Freiheit von außen Grenzen gesetzt werden könnten, war ihm ein Gräuel, und so begründete er seinen musikalischen Auftrag mit einem Besuch auf dem Saturn, wo ihn die Extraterrestrischen entsprechend angewiesen hatten. Als Pionier des Afrofuturismus nahm Sun Ra Science Fiction ebenso in seine ästhetischen Dienste wie die Elemente einer präkolonialen Imagination, und hier insbesondere die Hochkultur des alten Ägypten, die von den Afrozentristen als afrikanische Antike verehrt wurde.
Empire Kaffeeservice mit ägyptischem Dekor
Die Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion gehört zu den bleibenden Leistungen von Napoleons Ägyptenfeldzug. An dieser neapolitanischen Sphinx aber hätte sich selbst Champollion die Zähne ausgebissen.
Maha Maamoun
Maha Maamoun: Cairoscapes – Untitled #1 & Untitled #5, 2003
C-Print
Mit freundlicher Genehmigung des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg
Fadenglas
Über Jahrhunderte, noch vor den Portugiesen, Holländern, Engländern und Franzosen, hatte Venedig den globalen Seehandel dominiert und auch für die Währung gesorgt, mit der getauscht wurde: Glasperlen.
Marie-José Crespin
Die sogenannten »Chevron«-Perlen, die wir hier in einem Collier von Marie-José Crespin zeigen, dienten als Zahlungsmittel im westafrikanischen Sklavenhandel. Crespin fand sie vor Jahren im Sand der Insel Gorée (Senegal), auf der die Versklavten gesammelt wurden, bevor sie auf die berüchtigte »mittlere Passage« (von Afrika nach den Amerikas) geschickt wurden.
Marie-José Crespin: Colliers (ohne Jahresangabe)
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
Abdoulaye Konaté
Abdoulaye Konaté: Mistral – Technology, Money and Politics, 2015
Textil
Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Blain Southern, London/Berlin
Entenmuscheln
Was zunächst wie eine moderne Skulptur aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als Boje (aus Styropor). Neben ihrem Zweck erfüllt diese Boje noch eine weitere Funktion: sie bildet das Zuhause von unzähligen Entenmuscheln.
Dazu muss man wissen, dass Entenmuscheln nicht irgendein Getier sind, sondern Geschichte geschrieben haben. Zum einen inspirierten sie Charles Darwins zu seiner Theorie der Evolution. Zum anderen konnten sie den Wettlauf um die globale Seeherrschaft zwischen England und Frankreich entscheiden. Wie man der Boje ansieht, kennt die Entenmuschel kein Erbarmen mit Oberflächen, die unter Wasser liegen. Sie haftet sich mit einer Art Zement an einfach alles, seien es Felsen, Schiffsrümpfe oder eben Bojen. Lösen lässt sich der Zement kaum. Schiffe, die von der Entenmuschel befallen werden, liegen tiefer im Wasser und werden immer manövrierunfähiger – ein gerade bei Kriegs- und Handelsschiffen verheerendes Schicksal.
Clevere Briten aber hatten früh ein Gegenmittel ersonnen: Kupferbeschläge. Giftiges Kupferoxid schreckt die Entenmuschel ab. Die Boje ist ein Mitbringsel von Charles Lim Ye Yong. Sie stammt aus Singapur, dem winzigen Stadtstaat am Eingang der Straße von Malakka, der wichtigsten Schiffspassage zwischen Asien und Europa. Singapur ist eine koloniale Gründung der Briten.
Die Rückkehr der »Münsterland«
Es ist schon eine ganze Weile her, da lief die »Nordwind« und die »Münsterland« im Hamburger Hafen ein. Eskortiert wurden die Frachter von Freizeitkapitänen auf ihren Booten. Dazu erklang ein fröhliches Konzert aus Schiffshörnern. Zuvor hatten die Schiffe und ihre Besatzungen 8 Jahre lang festgesteckt – im Sueskanal, dessen Zugänge durch Kriegshandlungen 1967 plötzlich blockiert worden waren.
Krebs aus Muranoglas
Vom Bau des Sueskanals profitierte nicht nur die Schiffahrt. Fische, Schnecken und Mollusken erhielten plötzlich die Chance, ihr angestammtes Biotop zu verlassen. Einige durchquerten den Kanal für immer.
Der kleine Einsiedlerkrebs aus Murano steht in bloß metaphorischer Beziehung zur „Lessepsschen Migration“. Ein venezianischer Glasbläser arbeitet gerade an einer Kollektion all jener Meeresbewohner, die damals migriert sind. (Die Beziehung zwischen venezianischer Glaskunst und globalem Seehandel ist ein eigenes Thema).