Zheng Mahler
Zheng Mahler: Mutual Aid (Ex Omnia Conchis; The Mountains are High and the Emperor is Far Away), 2016
Installation/Porzellan mit einer Glasur aus Abalone-Schalen, 2-Kanal HD-Video)
Mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen
Mutual Aid (Ex Omnia Conchis; The Mountains are High and the Emperor is Far Away), 2016
Materialität und Funktion wollen nicht zusammenpassen: Uhrenteile, aber aus Porzellan? Gab es einst einen chinesischen Kaiser, der sich eine monumentale Uhr aus Porzellanteilen konstruieren ließ? Ganz so abwegig ist der Gedanke nicht, schließlich liegt auf dem See im Sommerpalast in Beijing ein Boot aus Marmor vor Anker…
Die Geschichte, von der »Mutual Aid« Zeugnis ablegt, ist ebenso phantastisch wie wahr. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das chinesische Kaiserreich befand sich im Niedergang, ließen sich chinesische Intellektuelle von einem Buch inspirieren, dass die »gegenseitige« Hilfe im Titel führte. Damals suchten die Intellektuellen nach einem alternativen Gesellschaftsmodell für China; das Buch wiederum stammt vom Begründer der anarchistischen Bewegung, dem russischen Fürsten Pjotr Kropotkin.
In Abgrenzung zu Darwins These des »survival of the fittest« hatte Kropotkin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Arbeits- und Lebensformen studiert, die nicht auf gegenseitige Ausbeutung und Hierarchie angelegt waren. Er fand diese im Tierreich, bei den Bienen und Ameisen, aber auch im schweizerisch-französischen Jura. Dort wohnten in relativer Abgeschiedenheit die Uhrmacherfamilien, deren Produktionsform strikt horizontal angelegt war: Die eine Familie fertigte dieses Gewinde, die nächste jenes Schräubchen, die dritte den kleinen Zeiger und so weiter, bis am Ende alles zusammengesetzt wurde. Dieses proto-sozialistische Uhrmacherkollektiv also sollte den Chines_innen zur politischen Inspiration dienen… Ganz ähnliche horizontale Arbeitsformen hatten übrigens die chinesischen Porzellanmanufakturen in Jingdzhen entwickelt. Dank genau abgestimmter Arbeitsschritte konnten sie schon im 17. Jahrhundert tausende Stücke pro Tag produzieren. Die besten gingen an den Kaiserlichen Palast, der Rest in alle Welt…
Chinesisches Porzellan, genauso wie Seide und Tee waren in Europa heiß begehrt. Umgekehrt interessierten sich die Chinesen in ihrer langen Geschichte nie sonderlich für westliche Produkte. Mit einer Ausnahme: Uhren und Automaten aller Art.
Die gigantischen Handelsbilanzdefizite, die aus diesem Ungleichgewicht folgten, kann man sich ausmalen. Und wohl auch, wie sie aus der Welt geschafft wurden: mit Gewalt.